Die Anfangsphase eines Startups ist ein permanenter Spagat zwischen großen Visionen und knappen Budgets. Jeder Euro wird zweimal umgedreht, jede Investition muss sich rechtfertigen. Dennoch lauert gerade hier eine der häufigsten und gefährlichsten Fallen für junge Unternehmen: verfrühte und überdimensionierte Anschaffungen. Der Drang, von Anfang an „professionell“ auszusehen und für jede Eventualität gerüstet zu sein, führt oft zu teuren Investitionen in Equipment, Software oder Büroflächen, die wertvolles Kapital binden und die Flexibilität rauben.
Erfolgreiche Gründer wissen jedoch: Wachstum wird nicht durch den Besitz von Dingen, sondern durch Agilität und einen schonungslosen Fokus auf das Wesentliche angetrieben. Die Philosophie des „Lean Startup“ lässt sich perfekt auf Anschaffungsentscheidungen übertragen. Es geht darum, Ressourcen intelligent zu nutzen, Fixkosten zu minimieren und so den finanziellen Spielraum für das zu bewahren, was wirklich zählt: die Entwicklung des Produkts und die Gewinnung von Kunden.
Das Wichtigste in Kürze
- Mieten/Leasen statt Kaufen: Für teures Equipment, das nicht täglich im absoluten Kerngeschäft genutzt wird, ist die Anmietung fast immer die kapital- und risikoschonendere Alternative zum Kauf.
- Bedarf vor „Nice-to-have“: Investieren Sie nur in das, was Sie jetzt zur Erfüllung von Kundenaufträgen oder zur Validierung Ihres Geschäftsmodells benötigen – nicht in das, was in einem Jahr vielleicht nützlich sein könnte.
- Skalierbare Lösungen bevorzugen: Wählen Sie bei Software und Systemen (z.B. Cloud-Dienste, SaaS) Modelle, die mit Ihrem Unternehmen mitwachsen und flexibel anpassbar sind, anstatt teure Einmalinvestitionen zu tätigen.
Der „Cargo-Kult“ des Gründens: Die Falle des professionellen Scheins
Viele Gründer neigen dazu, den äußeren Anschein etablierter Unternehmen zu imitieren, weil sie glauben, nur so ernst genommen zu werden. Man mietet ein schickes Büro, obwohl die meiste Arbeit remote erledigt wird. Man kauft die leistungsstärksten Computer für Aufgaben, die auch ein Mittelklasse-Gerät bewältigen würde. Oder man investiert in Maschinen für einen Produktionsschritt, den man anfangs auch an einen Dienstleister hätte auslagern können.
Dieses Verhalten wird auch als „Cargo-Kult“ bezeichnet: Man vollzieht die Rituale der Erfolgreichen (großes Büro, teures Equipment), ohne die substanzielle Grundlage (stabilen Umsatz, validierte Prozesse) dafür zu haben. Die Folge ist fatal: Wertvoller Cashflow wird in illiquiden Anlagegütern gebunden, die monatliche Kosten verursachen und die finanzielle Ausdauer (Runway) des Startups drastisch verkürzen.
Die goldene Regel: Mieten, Leasen oder Teilen statt Kaufen
Der intelligenteste Weg, dem Cargo-Kult zu entgehen, ist der Grundsatz, den Zugang zu einer Ressource über den Besitz zu stellen.
Software als Service (SaaS):
Die Cloud ist ein Segen für Startups. Anstatt teure Einmallizenzen für Software zu kaufen, die in zwei Jahren veraltet ist, setzen Sie auf flexible Abo-Modelle. Ob Buchhaltung, Projektmanagement oder Design-Tools – fast jede Anwendung ist heute als monatlich kündbarer Service verfügbar. Das schont nicht nur die Liquidität, sondern garantiert auch, dass Sie immer mit der aktuellsten Version arbeiten.
Coworking statt Langzeit-Mietvertrag:
Bevor Sie einen Fünfjahresvertrag für ein eigenes Büro unterschreiben, das vielleicht in sechs Monaten schon zu klein (oder zu groß) ist, nutzen Sie die Flexibilität von Coworking Spaces oder Büro-Services. Sie mieten nur die Arbeitsplätze, die Sie wirklich brauchen, und können Ihr Setup monatlich an das Wachstum Ihres Teams anpassen.
Equipment und Maschinen bei Bedarf anmieten:
Das Prinzip „Nutzen statt Besitzen“ gilt insbesondere für teures physisches Equipment. Ein aufstrebender Catering-Service muss keinen eigenen Kühltransporter kaufen. Ein junges Handwerksunternehmen benötigt keine eigene Hebebühne, die 95 % des Jahres ungenutzt in der Ecke steht.
Das gilt insbesondere für teures Spezialgerät. Benötigt Ihr Handwerks- oder Event-Startup beispielsweise für einen Auftrag in großer Höhe Zugang, wäre der Kauf einer Hebebühne eine massive Fehlinvestition. Die clevere Alternative ist die Anmietung. Eine flexible Scherenbühne für den kurzfristigen Einsatz erfüllt den Zweck, ohne Kapital zu binden oder langfristige Kosten für Wartung und Lagerung zu verursachen. Dieser Grundsatz lässt sich auf fast alle Arten von Maschinen übertragen: von Gabelstaplern über Spezialwerkzeuge bis hin zu Messebausystemen.
Die „Good Enough“-Lösung: Perfektionismus ist der Feind des Budgets
Auch bei Anschaffungen, die unumgänglich sind, gibt es enormes Sparpotenzial. Gründer neigen oft zum Perfektionismus und wollen von Anfang an die absolute Premium-Lösung. Doch oft reicht eine „gut genug“-Lösung völlig aus.
- Gebrauchte Ausstattung: Hochwertige, gebrauchte Büromöbel von spezialisierten Händlern oder aus Büroauflösungen tun es am Anfang genauso wie neue Designermöbel – kosten aber nur einen Bruchteil. Gleiches gilt für generalüberholte (refurbished) Laptops und Smartphones.
- MVP-Ansatz für Anschaffungen: Übertragen Sie das „Minimum Viable Product“-Konzept aus der Softwareentwicklung auf Ihre Käufe. Was ist die absolut minimale Ausstattung, die Sie benötigen, um Ihre Arbeit zu erledigen und Ihre Kunden zufriedenzustellen? Ein einfacher, stabiler Packtisch aus dem Baumarkt erfüllt zu Beginn denselben Zweck wie eine maßgefertigte Packstraße. Rüsten Sie auf, wenn der Umsatz es rechtfertigt, nicht vorher.
Versteckte Kosten aufdecken: Die TCO-Falle (Total Cost of Ownership)
Ein weiterer klassischer Fehler ist die alleinige Fokussierung auf den Kaufpreis. Doch die wahren Kosten einer Anschaffung zeigen sich oft erst im Laufe der Zeit. Berücksichtigen Sie immer die Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership).
Dazu gehören neben dem Kaufpreis auch:
- Wartungs- und Reparaturkosten: Was kostet der jährliche Service? Wie teuer sind Ersatzteile?
- Betriebskosten: Wie hoch ist der Energieverbrauch der Maschine? Welche Software-Updates sind kostenpflichtig?
- Kosten für Lagerung und Platz: Wo steht das Gerät, wenn es nicht genutzt wird? Dieser Lagerplatz kostet Miete.
- Schulungsaufwand: Muss das Personal aufwendig im Umgang mit der neuen Anschaffung geschult werden?
Bezieht man all diese Faktoren mit ein, wird schnell klar, dass die Anmietung von selten genutztem Equipment nicht nur in der Anschaffung, sondern auch im Unterhalt die deutlich günstigere Option ist.
Fazit
Lean zu starten bedeutet, finanzielle Disziplin mit strategischer Weitsicht zu kombinieren. Es geht darum, agil zu bleiben, Fixkosten gering zu halten und Kapital für das zu reservieren, was ein Startup wirklich voranbringt: Produktinnovation, Marketing und Vertrieb. Jede Kaufentscheidung sollte daher kritisch hinterfragt werden: Muss ich das wirklich besitzen, oder brauche ich nur den Zugang dazu? Gründer, die diese Frage ehrlich beantworten und den Mut haben, unkonventionelle und ressourcenschonende Wege zu gehen, bauen nicht nur ein schlankeres, sondern auch ein widerstandsfähigeres und letztlich erfolgreicheres Unternehmen auf.