Vesting beschreibt den Prozess des „Erdienens“ von Unternehmensanteilen (oder Optionen) über einen festgelegten Zeitraum. Es ist ein vertraglicher Mechanismus, der sicherstellen soll, dass Gesellschafter, Gründer oder Mitarbeitende einen signifikanten Beitrag zum Unternehmen leisten, bevor sie den vollen Anspruch auf ihre Anteile erhalten.
Im Startup-Kontext ist das Founders Vesting (Gründer-Vesting) eine Standardklausel in Beteiligungsverträgen (SHAs), die von Investoren gefordert wird. Sie zwingt die Gründer, sich ihre eigenen Anteile – die sie rechtlich oft schon bei der Gründung erhalten haben – über einen zukünftigen Zeitraum (z. B. 3-4 Jahre) durch ihre fortlaufende Mitarbeit im Unternehmen „neu zu verdienen“.
Das Wichtigste in Kürze
- Definition: Vesting ist ein zeitbasierter „Erdienungs-Prozess“. Anteile werden über einen definierten Zeitraum (Vesting-Periode) freigeschaltet.
- Zweck: Es ist das wichtigste Instrument zur Sicherstellung des langfristigen Engagements (Commitment) der Gründer. Investoren investieren in das Team und wollen sicherstellen, dass dieses an Bord bleibt.
- Der Mechanismus: Die Anteile der Gründer unterliegen einem „Rückkaufsrecht“ (Call Option) der Gesellschaft, das über die Vesting-Periode hinweg schrittweise verfällt.
- Die Konsequenz: Verlässt ein Gründer das Unternehmen vor Ablauf der Frist (insbesondere bei einem „Bad Leave“), verliert er alle noch nicht „gevesteten“ (unvested) Anteile, die dann günstig von der Gesellschaft oder den Mitgesellschaftern zurückgekauft werden können.
Wie funktioniert Vesting in der Praxis?
Vesting ist kein automatischer Prozess, sondern wird detailliert im Beteiligungsvertrag oder einer separaten Vesting-Vereinbarung geregelt. Die zentralen Bausteine sind:
1. Die Vesting-Periode (Vesting Period)
Dies ist der Gesamtzeitraum, über den sich ein Gründer seine Anteile „verdienen“ muss.
- Übliche Dauer: In VC-finanzierten Startups sind 3 bis 4 Jahre nach Einstieg des Investors gängig.
- Für Mitgründer: Gründer sollten untereinander (im Gesellschaftervertrag) von Tag 1 an ein Vesting vereinbaren, um sich gegenseitig abzusichern, falls ein Mitgründer frühzeitig aussteigt.
2. Der Cliff (Die Wartezeit)
Der Cliff ist eine „Alles-oder-Nichts“-Wartezeit am Anfang der Periode.
- Übliche Dauer: Fast immer ein 1-Year-Cliff (12 Monate).
- Funktionsweise: Verlässt ein Gründer das Startup vor Ablauf dieses ersten Jahres (dem Cliff), erhält er keine Anteile (0 % vesten). Er gilt als nicht lang genug dabeigewesen. Erst am 1-Jahres-Jubiläum „vestet“ der erste Block (z. B. 25 % bei einer 4-Jahres-Periode) auf einen Schlag.
3. Das Vesting-Schedule (Der Erdienungs-Plan)
Nach dem Cliff regelt das Schedule, wie die restlichen Anteile freigeschaltet werden.
- Übliche Taktung: Monatliche oder vierteljährliche Freischaltung.
- Beispiel (4 Jahre, 1-Year-Cliff, monatlich):
- Monat 1-11: 0 % vesten.
- Monat 12: 25 % vesten (das Cliff).
- Monat 13-48: Die restlichen 75 % vesten in 36 gleichen monatlichen Raten (jeden Monat 2,08 % zusätzlich).
Warum ist Vesting für Gründer und Investoren so wichtig?
1. Schutz für Investoren (Absicherung des Investments)
VCs investieren in der Frühphase primär in das Gründerteam. Vesting stellt sicher, dass die Schlüsselpersonen, die das Produkt und die Vision tragen, an Bord bleiben. Es verhindert, dass ein Gründer kurz nach der Finanzierungsrunde aussteigt, aber seinen vollen Anteil behält, während das restliche Team die Arbeit macht.
2. Fairness unter Mitgründern (Lösung für „Dead Equity“)
Vesting ist ebenso wichtig für Gründer untereinander, bevor ein Investor an Bord ist.
- Szenario: Zwei Gründer starten mit je 50 %. Nach 6 Monaten verlässt Gründer A das Projekt.
- Ohne Vesting: Gründer A behält 50 % der Firma („Dead Equity“ – totes Kapital), während Gründer B die nächsten 5 Jahre allein arbeitet. Zukünftige Investoren werden dieses Ungleichgewicht nicht akzeptieren.
- Mit Vesting: Gründer A verlässt das Startup vor dem 1-Year-Cliff und verliert alle Anteile (0 %). Die Anteile gehen zurück an die Gesellschaft oder an Gründer B.
Abgrenzung: Founders Vesting vs. Mitarbeiter-Vesting (ESOP)
Es ist wichtig, diese beiden Konzepte zu unterscheiden:
- Founders Vesting (Reverse Vesting): Gründer besitzen ihre Anteile von Anfang an (z. B. GmbH-Anteile). Das Vesting gibt dem Unternehmen ein Rückkaufsrecht (Call Option) für die Anteile, falls der Gründer geht. Die Anzahl der Anteile, die zurückgekauft werden können, sinkt über die Zeit.
- ESOP/VSOP (Forward Vesting): Mitarbeitende besitzen die Anteile (oder Optionen) noch nicht. Sie erhalten das Recht, diese Anteile (Optionen) über die Zeit zu erwerben. Die Anzahl der Anteile, die sie besitzen, steigt über die Zeit.